Reinhard Micko 
Ein Senkrechtstarter am Piano

Mit seinem neuen Album „Touch“ legt der 30jährige Jazzpianist Reinhard Micko ein sehr eigenständiges und reifes Werk vor, dem es weder an Mut noch an Inspiration mangelt. Besonders glücklich ist auch die Wahl seiner Mitmusiker: mit Peter Herbert und Wolfgang Reisinger hat er sich zwei erfahrene und gleichberechtigte Partner ins Trio geholt.

Es ist sicher nicht seine Sache, sich anzubiedern oder nach Verkaufszahlen zu schielen. Ein seriöser Jazzmusiker würde das ohnehin nicht tun. Reinhard Micko ist ein sensibler Künstler, der unbeirrbar seinen Weg geht. „Die Frage nach Verkaufbarkeit oder Popularität irgendeiner Musikrichtung oder Besetzung hat mich noch nie in meiner musikalischen Entwicklung beeinflußt. Ich komponiere und spiele kompromißlos das, was meinem Zugang und meinem Geschmack entspricht.“ 
1994 legte Micko am Konservatorium der Stadt Wien seine Diplomprüfung für Jazzklavier ab und gründete sein Trio mit dem Bassisten Karl Sayer und dem Schlagzeuger Uli Soyka. Zwei Jahre später erschien der erste Tonträger dieses Trios. Reinhard Micko hat außerdem noch ein Quintett und arbeitete in den letzten Jahren u. a. mit den Brüdern Muthspiel, dem Vienna Art Orchestra, Dave Liebman, Linda Sharrock, Harry Sokal, Fernando Paiva, Alegre Corrêa, Klaus Dickbauer und Barbara Pflüger. 1998 entschloß er sich zur Zusammenarbeit mit Peter Herbert und Wolfgang Reisinger. „Immer wieder im Leben braucht es einen Wechsel, um aus Gewohnheiten auszubrechen. Ich habe deshalb nach einigen sehr anregenden Jahren der Zusammenarbeit mit Uli Soyka und Karl Sayer diesen Wechsel herbeigeführt und bin sehr glücklich über die Entwicklung meiner musikalischen Ideen. Warum ich mit Peter und Wolfgang spiele? Abgesehen von einem äußerst hochstehenden gesamtmusikalischen Niveau von beiden geben mir Peters unglaubliche Fähigkeit, sich der Musik hinzugeben, und Wolfgangs unvergleichlicher persönlicher Zugang zu Schlagzeug und Sound genau das, was ich am Musizieren so schätze.“

Die klassische Konstellation Klavier-Baß-Schlagzeug scheint gerade wieder in Mode zu kommen, und das Reinhard Micko Trio braucht zumindest europaweit keinen Vergleich zu scheuen: Seine Musik ist frisch und offen, bietet ein wohldosiertes Gleichgewicht zwischen Mickos durchaus streng auskomponierten Themen und den Improvisationen, an denen Herbert und Reisinger ebenso intensiv beteiligt sind wie der Namensgeber des Trios. Auffallend oft gibt es auf der neuen CD unbegleitete Soli. Reinhard Micko: „Ich mag es, wenn nicht nur ein Solo, sondern auch ein Stück als Ganzes eine Geschichte erzählt, dem Zuhörer erlaubt, auf seine persönliche (Klang-) Reise zu gehen. Unterschiedliche Sound-Situationen, Intensitätsstufen oder individuelle Solopassagen sind die logische Antwort auf zum Teil sehr stark vorgegebene Thementeile.“
Auf den sieben Titeln der CD erforschen Micko, Herbert und Reisinger Klangräume, die zwar immer wieder zum Lyrischen hin tendieren, aber auch dem Skurrilen und Eckig-Verschrobenen Platz bieten; „No Way“ und „Why 2 K“ wären hier zu erwähnen. Ein Ruhepol ist die Ballade „Touch“ mit ihren eigenwilligen Akkordfolgen. Sie ist ein Beispiel für die Fähigkeit dieser drei Musiker, die Zeit still stehen zu lassen, weite Bögen zu spannen und doch darüber nicht den Blick auf die klare Form zu verlieren. Interessant ist auch, daß Micko „Springtime Spell“ von seiner ersten Trio-CD wieder aufgenommen hat, eine unbeschwerte, harmonisch sehr anspruchsvolle Komposition. „Manche Stücke der ersten Trio-CD stehen für mich in eindeutigem Bezug zu der Zeit, in der sie entstanden oder aufgenommen wurden, sei es stilistisch oder emotionell oder sonstwie. ‚Springtime Spell’ ist eines der Stücke, die für mich persönlich zeitlos sind, bei dem ich nicht das Gefühl hatte, irgendeine Entwicklungsphase von mir zu wiederholen, wenn ich es noch einmal aufnehme.“
Wenn es auch aus logistischen Gründen – Peter Herbert lebt in New York – nicht immer einfach ist, das Trio zusammenzubringen, hat die derzeitige Besetzung für alle Beteiligten den Stellenwert einer fixen Band. Durch die Veröffentlichung der neuen CD sollten sich aber weitere Auftrittsmöglichkeiten ergeben – somit eine Gelegenheit für alle Jazzbegeisterten mit offenen Ohren, diesen originellen Beitrag zum Thema „Piano-Trio“ auch einmal live zu hören.

Martin Schuster
Foto: W. Gonaus