„Ich bin ja so froh, dass ich singe!“
Agnes Heginger - Vokalistin und Freigeist
Jazz, Zeitgenössische Musik, Chanson, freie Improvisation, Alte Musik? Hat sie alles schon gemacht. Agnes Heginger liebt ihr Dasein als Sängerin; genauso liebt sie es, sich Freiräume zu schaffen, zu experimentieren. Im CONCERTO-Gespräch erzählt sie über ihre neuesten drei Projekte, die allesamt das Prädikat „Außergewöhnlich“ verdienen.
Auf ihrer Homepage schreibt Heginger: „Es ist eine große Lust, mit meiner Stimme zu tanzen, zu fliegen!“ Sie hat sich vor allem auf Projekte spezialisiert, die nicht eindeutig einem musikalischen Genre zugeordnet werden können oder wollen. Ein wesentlicher Grund hiefür liegt sicherlich in der Biografie der Vokalistin, studierte sie doch zunächst klassischen Gesang, um dann an der Musikuni Graz ein Diplom in Jazzgesang anzuhängen. „Damals kam jedes Semester eine andere Lehrperson zu uns: Sheila Jordan, Jay Clayton, Mark Murphy ... und daneben hatten wir eine wunderbare Klassiklehrerin für das Nebenfach, Fran Luban. Ich fand dieses Konzept super. So wie ich heute arbeite, ist es für mich unvorstellbar, mich nur einer Stilrichtung zuzuordnen.“
Begegnungen und prägende Erlebnisse, u.a. mit dem Jazzpianisten Fritz Pauer, bestätigten Agnes Heginger auf ihrem Werdegang zur Allrounderin. „Ich hatte immer den Wunsch, mich frei zu spielen, für mich Orte zu entdecken, an denen ich beweglich bin, weil da sonst vielleicht niemand ist. Ich hatte aber auch Glück in Bezug auf die Leute, die mir über den Weg gelaufen sind. Da habe ich gesehen, dass ich mich im Chanson oder im Pop unglaublich schön entfalten kann; oder da ist das Ensemble PLASMIC, mit dem ich herrlich frei improvisieren kann; oder das Cerha-Projekt, wo ich mit hervorragenden Musikern arbeiten und mich in Zeitgenössische Musik vertiefen kann – in Kombination mit Literatur, was ich großartig finde.“
- FotoCredit: Maria Frodl
„Kein Spielball meiner Befindlichkeiten“
Das Gespräch dreht sich anschließend um die Frage: Was macht das Dasein als Sängerin zu etwas Besonderem? Agnes Heginger: „Der eine Aspekt für mich ist, dass sich alles so direkt auf die Zuhörer überträgt. Andererseits bin ich durch Technik, Wissen und Routine in der Lage, immer genau das zu machen, was ich auf der Bühne, im Studio oder bei Proben gern möchte. Es ist also nicht so, dass ich ein Spielball meiner Befindlichkeiten bin. Das hat viel mit Technik zu tun; ich nenne es lieber ‚Vision’. Diese Vision von einem Musikstück sollte sich in dem Moment, wo ich singe, auch übertragen.“
Auch das Wechseln der musikalischen Rollen ist wichtig. So ist Heginger mit großem Vergnügen Teil eines Ensembles, in dem sie wie jedes andere Instrument Klänge, Rhythmen oder Melodien beisteuert, dann aber auch wieder gern die Frontfrau, die im Rampenlicht steht – zwei Aspekte ihrer musikalischen Persönlichkeit, die sie nicht missen möchte. „Ich liebe es! Ich bin ja so froh, dass ich singe! Ich bin dankbar für meine Stimme und für all die Dinge, die ich musikalisch tun kann. Das wirklich Anstrengende für mich ist das Drumherum, die (Selbst)vermarktung.“
Stationen einer Karriere
Für Heginger war es immer selbstverständlich, ihr Wissen auch weiterzugeben. Nach einer Lehrtätigkeit am Schubert-Konservatorium Wien erhielt sie 2001 die Gelegenheit, an die A. Bruckner Privatuniversität nach Linz zu wechseln, wo sie auch heute noch am JIM-Institut (Jazz & Improvised Music) unterrichtet. Neben Gastdozenturen in Bern und Berlin ist Agnes Heginger immer wieder als Gesangspädagogin bei Sommerkursen tätig. Als Performerin hat sie schon mit so unterschiedlichen Partnern wie Paul Gulda, Roland Neuwirth, Matthias Loibner, Studio Percussion Graz, Christian Muthspiel, Willi Resetarits, dem Vienna Art Orchestra oder Bobby Previte gearbeitet. Sie bildet mit dem Kontrabassisten Georg Breinschmid ein kongeniales Duo, widmet sich mit dem Elektronik-Komponisten Karlheinz Essl der frei-improvisatorischen Textvertonung, war an der genreübergreifenden Produktion „platzDADA!“ mit dem Pago Libre Sextett beteiligt (Preis der Deutschen Schallplattenkritik 2009), pflegt mit ihren JIM-Kollegen Christoph Cech (Klavier) und Peter Herbert (Bass) ein quirlig-virtuoses Trio (die CD „springlink“ wurde im CONCERTO 2-2015 vorgestellt) und ist ein Viertel des Improvisationsquartetts PLASMIC um die Pianistin Elisabeth Harnik.
Als Komponistin und Texterin tritt Heginger ebenfalls in verschiedenen Konstellationen hervor, so z.B. auf der CD „Sympathikus – Parasympathikus“ des Jazzwerkstatt Wien New Ensemble, auf der sie für zahlreiche vokale Highlights verantwortlich zeichnet. „Das geht eindeutig in Richtung zeitgenössische Musik, hat aber auch Free-Jazz-Elemente. Damals habe ich zum ersten Mal mit Clemens Salesny gespielt und bin draufgekommen, wie gut wir miteinander ticken, wenn wir auftreten.“
- "Ich verrehre Harry Pepl!" V.l.n.r. Clemens Salesny, Martin Bayer, Agnes Heginger, Peter Primus Frosch / Foto: Derschmidt
Ein virtuelles Quintett mit Harry Pepl
Salesny und Heginger sind auch zwei der Protagonisten einer Doppel-CD, die auf Betreiben von Harry Pepls Sohn Daniel entstand. Als einer der wenigen österreichischen Gitarristen mit internationalem Renommee hat Harry Pepl (1945-2005) ein reiches Œuvre hinterlassen. Durch extremen Bluthochdruck zur Beendigung seiner Live-Karriere gezwungen, spielte er viele Kompositionen in seinem Heimstudio unter dem bitter-ironischen Pseudonym Harry Pepl’s Lonely Single Swinger Band ein. Saxofonist Clemens Salesny, Gitarrist Martin Bayer und Daniel Pepl sichteten das umfangreiche Material und wählten schließlich 12 davon aus, die die Basis für CD 1 bildeten.
Heginger: „Als die Frage kam, ob ich bei diesem Projekt dabei sein möchte, habe ich sofort ja gesagt, denn ich verehre Harry Pepl. Ich bin so glücklich, dass ich ihn persönlich kennenlernen durfte. Dank moderner Studiotechnik – und da hat Daniel Pepl vor allem bei der Tonmischung Großartiges geleistet – darf ich sogar mit Harry gemeinsam singen!“ Behutsam wurden die Originalspuren an die neue Aufnahmesituation angepasst (neben den oben genannten Musikern ist noch der junge Drummer Peter Primus Frosch zu hören) und im virtuellen Quintett musiziert.
Auf CD 2 sind bekanntere Pepl-Stücke wie „Bikebreaker“, „Die alte Mär und das Mann“ oder „Schikaneder Delight“ mit der Band Salesny/Bayer/Frosch/Heginger und Gästen wie Herbert Joos (flh) in neuen Arrangements zu hören. Aus „Air, Love & Vitamins“ wurde mit einem sehr persönlichen Text von Agnes Heginger „Luft, Liebe und Vitamine“, und die Sängerin ist stolz, sich mit dieser Wahl durchgesetzt zu haben, vor allem, weil es ein „richtiger Song“ ist. „Ich finde es toll, wenn es genaue Vorgaben und Vorstellungen gibt, wenn ich mich aber innerhalb dieser Grenzen sehr frei bewegen kann. Ich habe zwar einen Rahmen, aber plötzlich wird das ganz groß, auch wegen der wunderbaren Musik von Harry Pepl.“
„Die rote Beere“
Ein spezielles Projekt ist „Verrückung“, eine intime und tiefschürfende Auseinandersetzung mit dem Werk der Kärntner Dichterin Christine Lavant (1915-1973), besonders ihrer „Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus“, die die zeitlebens kranke und von Krisen geplagte Autorin nach einem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik schrieb. „Vor ca. fünf Jahren war es mir ein Bedürfnis, ein musikalisches Projekt zu machen, von dem ich mich persönlich ganz stark angesprochen fühle“, meint Heginger zur Grundidee. Das Konzept, eine Collage aus Text- und Musikelementen, entstand in einem Wurf gemeinsam mit der Schauspielerin Martina Spitzer und der Cellistin Clementine Gasser. Nach diversen Aufführungen erfuhr das Projekt eine allmähliche Umwandlung; die CD entstand schließlich im Duo Agnes Heginger (Gesang, Rezitation, Komposition) und Maria Frodl (Cello, singende Säge, Rezitation) und erschien 2015 zum 100. Geburtstag Christine Lavants.
Die teils kargen, teils rhythmisch aufbrausenden Musikstücke der beiden Interpretinnen treten in einen intensiven Dialog mit den magisch-rätselhaften Gedichten und Prosatexten Lavants; dazwischen tauchen Zitate von Josef Haydn und J.S. Bach auf. „Das Gedicht ‚Die rote Beere’ ist als Solostück für mich konzipiert. Da geht es um Einsamkeit, um dieses verletzte Herz, das durch die rote Beere repräsentiert wird. Die Idee, es mit Bach zu kombinieren, entstand wegen dem religiösen Bezug, der bei Lavant auch eine Rolle spielt. Dieser Schlusschoral aus der ‚Matthäus-Passion’ repräsentiert eine gewisse Reinheit. Deshalb haben wir die Bach-Paraphrase zwischen Lavants ‚Christus’-Gedicht und ‚Die rote Beere’ gesetzt.“
- "Es ist toll, mit jemandem zu arbeiten, der einen so fordert, aber immer konstruktiv bleibt.". Agnes Heginger mit Friedrich Cerha (Foto: Frodl)
Vom "aunkl Poidi" zum "bladen edi"
Ebenfalls eine lustvolle Vereinigung von Poesie und Musik ist "Ein letzte Art Chansons" mit Kompositionen Friedrich Cerhas. Der 89-jährige Doyen der österreichischen Zeitgenössischen Musik hatte in den 1950er Jahren intensive Kontakte zur Wiener Gruppe um Ernst Jandl, Gerhard Rühm und Konrad Bayer. 1987 vollendete Cerha seinen dreiteiligen Zyklus "Eine Art Chansons", dem zwei Jahre später "Eine letzte Art Chansons" mit selbst verfassten Texten (z.B. "Da aunkl Poidi") und solchen von Friedrich Achleitner folgten. Ursprünglich wurden beide Zyklen mit insgesamt 72 Kompositionen für den Interpreten Heinz Karl "Nali" Gruber verfasst; mit Agnes Heginger wurden die pointierten und teils halsbrecherischen Stücke, die teilweise nur einige Sekunden dauern, nun zum ersten Mal von einer Frauenstimme gesungen.
"Ich habe die große Ehre, hier mit einer lebenden Komponistenlegende zu arbeiten. Ich wurde eingeladen, weil ich bei der Aufführung einiger Chansons 2013 in der Dominikanerkirche Krems beteiligt war. So bekam ich Kontakt zu den Cerhas, und so entstand die Idee zur CD. Ich wäre ja nie so tolldreist gewesen, das von mir aus zu machen." Weil das von Cerha gegründete Ensemble die reihe nicht zur Verfügung stand, wurde mit dem Kollektiv Studio Dan um Daniel Riegler ein adäquater Kooperationspartner gefunden. Cerha war intensiv in den Aufnahmeprozess eingebunden und kümmerte sich auch um kleinste Details: "Es ist toll, mit jemandem zu arbeiten, der einen so fordert, aber immer konstruktiv bleibt. Bei diesem Projekt habe ich mich mit Freude unter die Obhut von Friedrich Cerha begeben. Und ich wollte wissen, was er möchte und was er meint."
Besonders wertvoll für die Sängerin ist Feedback aus dem Publikum: "Ich habe von mehreren Seiten gehört: Das klingt, als würde ein Mann singen. Wie machst du das? Es ist natürlich eine hohe Stimme, aber bei Liedern wie 'da blade edi' freut es mich sehr, wenn andere diese Vision heraushören, die ich von diesem patzigen Typen habe." Eine Auswahl an Cerha-Chansons ist im Februar auch zweimal live zu hören (siehe Live-Tipps). Martin Schuster
Aktuelle CDs:
Harry Pepl & Clemens Salesny/Martin Bayer/Peter Primus Frosch/Agnes Heginger, Fullmax Recordings)
Maria Frodl/Agnes Heginger „Verrückung - Christine Lavant“, www.bibliothekderprovinz.at
Friedrich Cerha/Studio Dan/Agnes Heginger „Eine letzte Art Chansons“, Jazzwerkstatt Records
Auswahldiskografie:
Agnes Heginger/Georg Breinschmid „tanzen“, Preiser Records (2005)
Pago Libre Sextett feat. Agnes Heginger „platzDADA!“, www.merianverlag.ch (2008)
Agnes Heginger/Karlheinz Essl „Out Of The Blue“, XS Records (2010)
PLASMIC - Live At Chilli Jazz Festival 2013, Leo Records (2013)
Jazzwerkstatt Wien New Ensemble „Sympathikus – Parasympathikus“, Jazzwerkstatt Records (2014)
Heginger_Herbert_Cech „springlink“, Alessa Records (2015)
Web-Tipp: agnesheginger.com