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Lakecia Benjamin: Ein Phönix mit vibrierender Spiritualität

Am 27. Jänner veröffentlichte die Saxophonistin Lakecia Benjamin aus New York City ihre neue CD "Phoenix". Das mythologische Vogelgetier, das aus eigener Asche zu neuem Leben aufstieg, verwendete Benjamin nicht ohne Grund als Albumtitel. Nicht nur, dass ihre Entwicklung und Karriere durch die Pandemie gedrosselt wurde, widerfuhr der Saxophonistin ein gefährlicher Autounfall, der natürlich eine leidvolle Zeit der Genesung nach sich zog.

Lakecia Benjamin Copyright by Elisabeth Leitzell

Die charismatische Musikerin, geboren 1982, ist mindestens seit ihrem Debüt-Tonträger, "Retox" (2012), permanent an der Spitze des Jazz-Geschehens zu finden. Sie ist ein Rising Star par excellence und toppt auf "Phoenix" abermals ihren persönlichen Qualitätslevel. Man lernte Lakecia Benjamin in Wien schon wegen einer Programmänderung kennen und verabschiedete sie am 7. Mai 2022 im Wiener Konzerthaus mit Standing Ovations und Freudengejohle. Wer langfristig Termine notiert, sollte sich den 19. März 2024 frei halten, wenn die dynamische Saxophonistin abermals in das Wiener Konzerthaus kommt. Am 7. Mai letzten Jahres sollte eigentlich die texanische Jazzsängerin Jazzmeia Horn auf der Bühne stehen, übrigens auch ein Rising Star. Die Dame musste ihren Gig canceln, so kam Lakecia zum Zug. Nimmt sie im Studio gerne mit einem Großaufgebot auf ("Phoenix", 18 Musiker/innen), hörte man Benjamin in Wien im Quartett (Victor Gould, p; Ivan Taylor, kb; E.J. Strickland, dr). Die drei Herren sind quasi Lakecia´s Kernformation und natürlich auch beim aktuellen Album dabei. Dazumal stellte die Altsaxophonistin noch ihre CD "Pursuance: The Coltranes" (2020) vor, die später noch Thema sein wird. Auf dem Album stilisiert sie wohl berechtigt Alice und John Coltrane als zwei der innovativsten und relevantesten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts hoch; natürlich primär im Genre Jazz. Bevor Benjamin ihre eigene Karriereleiter sehr steil installierte, war sie schon als Studiomusikerin gefragt und geschätzt. Kolleg/innen und Bands wie The Roots, Anita Baker, Stevie Wonder, Jazzmeia Horn, Ron Carter, Dee Dee Bridgewater, Regina Carter, Greg Osby, Reggie Workman oder Gary Bartz u.a.m. wollten Lakecia, ihr explosives Altsaxophon, ihre gewaltige Dynamik und ihre überwältigende Performance, voll bepackt mit Soul, Hip Hop und Power, an ihrer Seite haben.

Lakecia Benjamin /Copyright: Elisabeth Leitzell

"Phoenix": expansiv und epochal

"Phoenix" ist in vielerlei Hinsicht expansiv, politisch belastet, kämpferisch und geradezu revolutionär. Man merkt beim Abhören der 13 Tracks, dass Benjamin nur nach eigenen Vorstellungen musiziert und Zugeständnisse wegwischt. Ob dies in ihrem Jazz, den Texten der Songs/Rezitationen oder den Arrangements ist. In der Produzentin von "Phoenix", der mehrfachen Grammy-Gewinnerin und Top-Schlagzeugerin Terri Lyne Carrington, fand Lakecia eine Verbündete, eine Schwester mit Kompetenz und Mut. Die Entscheidung der Saxophonistin, auf dem Album diverse Generationen an Musiker/innen zusammenfinden zu lassen und unterschiedliche Genres zu akzeptieren, macht Lakecia Benjamin sympathisch und gibt dem Tonträger einen deutlichen Mehrwert. Nach der mühsamen Zeit mit der Pandemie, den Verzögerungen, Absagen und Enttäuschungen, fasste Lakecia Mut und nahm Mitte des letzten Jahres an nur 2 Tagen (2. - 3. Juni) "Phoenix" in den New Yorker Bunker Studios auf. Auch durch die großzügige und prominente Personalliste wurde das Album etwas Auserlesenes, das sich ob seiner Qualität von den aktuellen Produktionen an Jazz drastisch abhebt. Neben den schon genannten drei Stammmusikern wirkten weitere Kolleg/innen, oft nur bei einer Nummer, mit. Der Trompeter Josh Evans ist bei sechs Tracks zu hören, Wallace Roney Jr. nur bei "Blast". Evans ist vor allem ein vielbeschäftigter Studiomusiker, der letztens mit Louis Hayes und Jazzmeia Horn arbeitete. Wallace Roney Jr. ist Sohn des genialen Wallace Roney (tp) und von Geri Allen (p), beide vor nicht langer Zeit verstorben. Die kasachische Organistin Anastassiya Petrova studierte in Boston (Berklee College), ist längst auf dem Weg zu einer großen Karriere und auf "Phoenix" auch auf dem Rhodes zu hören. Orange Rodriguez ist auf zwei Tracks mit seinem Synthesizer dabei und gehört zu einer Gruppe rund um den Pianisten Victor Gould. Weiteres waren im Studio Negah Santos (perc), Jahmal Nicols (kb) und die Streicher/innen auf Titel 4, "Mercy", Joseé Klein, Laura Epling, Nicole Neely und Cremaine Booker. Offensichtlich wollte Lakecia Benjamin Musiker/innen auf ihrem Album ein Podium bieten, sich u.a. auch dem europäischen Publikum zu präsentieren. Whirlwind Recordings ist ja ein englisches Label. Um ihre Anliegen nicht nur musikalisch zu ventilieren, baute Benjamin auch gesprochene Texte bei fünf Tracks ein und ließ ihre Message verbalisieren.

Lakecia live im Wr. Konzerthaus, Mai 2022 / Copyright: Hebert Höpfl

Repräsentative Gäste im Studio

Diesen Part übernahmen die politische Aktivistin Angela Davis, die Poetin Sonia Sanchez und die Saxophon-Ikone Wayne Shorter. Sanchez ist so wie Davis als Professorin und Autorin in den USA in linken Gesellschaftsschichten legendär und populär. Von den Konservativen werden beide Damen gehasst und als Aufwieglerinnen gesehen. Sowohl Davis, Sanchez und Lakecia Benjamin sehen es als ihre Lebensaufgabe, für die Rechte der farbigen Bevölkerung zu kämpfen und mit ihren Möglichkeiten gegen Diskriminierung und Rassismus zu agieren. Unter den speziellen Gästen wie Davis, Sanchez und Shorter sind auch Georgia Anne Meldrow (voc, synth), Patrice Rushen (p) und die wunderbare Sängerin Dianne Reeves, ein Weltstar, der immer wieder mit Grammy Awards bedacht wird, zuletzt 2015 für das Album "Beautiful Life". "Phoenix" startet mit der Nummer "Amerikkan Skin" bedrohlich und entsprechend den Ereignissen, die man sehr oft in den Berichten aus den USA hört und sieht. Polizeisirenen, Schüsse, Krawall. Angela Davis, die wehrhafte Bürgerrechtlerin und Philosophin, spricht aufgebracht die Kampfansage, wie sie es schon in den 70er Jahren als Galionsfigur der Black-Power-Bewegung und später als Mitglied der Kommunistischen Partei machte. Lakecia bläst auf ihrem Altsaxophon ein wildes Solo, erst Josh Evans beruhigt mit seiner Trompete die Stimmung. Diese Kriegshymne wiederholt sich in der finalen Nummer "Amerikkan Skin Radio Edit". Hoffnungsfroh und aufatmend ist "New Morning", das Benjamin in einer Lebensphase verfasste, die von Trauer und Lethargie gezeichnet war. Abermals hören wir Evans mit einer gestopften Trompete und ein exaltiert aufregendes Solo von Lakecia. Dann die Albumtitelnummer "Phoenix", die ein Erlebnis ist; auch durch die Mitwirkung von Georgia Anne Meldrow am Synthesizer. Meldrow ist der Gruppe um Robert Glasper zuzurechnen, der eine neue Form des Soul entwickelte. Die Kalifornierin ist die Gattin des bekannten Rappers Dudley Perkins. Anfangs klingt der Track wie Kirchenmusik, später erinnern verhallte Gesänge an afrikanische Sounds. Der Song in Midtempo erzählt von der Entscheidung, neue Lebenswege zu beschreiten. Lakecia soliert mit voluminösem Ton und reißt genial den Faden zu musikalischen Konventionen. Dass die mega erfolgreiche und brillante Jazzsängerin Dianne Reeves aus Detroit das Album behübscht, zeigt wiederum die Offenheit Benjamin´s, die Respekt vor allen hat, die in den diversen Facetten des Jazz ihre Entfaltung sehen. So singt Reeves beruhigend auf "Mercy", dass sich die Menschen lieb haben und um Frieden bemühen sollten. Das Lied ist sehr geschmackvoll mit Streichern arrangiert (Joshua Keith). Auf "Jubilation" hören wir Patrice Rushen, die eine ausgezeichnete Rhythm-and-Blues-Sängerin und Pianistin ist; wiederum ein Rising Star. Der Song soll vermitteln, dass sich Künstlerinnen Lakecia als Vorbild und Aufmunterung aneignen sollten, da Benjamin bewundernswert konzentriert an ihrer Karriere feilt und Rückschläge wegzustecken weiß. Am Rhodes und dem Synthesizer agiert eine der wenigen weißen Kolleginnen, die Kasachin Anastassiya Petrova. Der Titel schwelgt in einem pulsierenden Groove mit Latin-Touch. Die Bandleaderin begeistert zum wiederholten Male als genuine Schöpferin an euphorischem Saxophonspiel. Das Konzept Benjamin´s, literarische Einschübe in ihre Kompositionen einzuflechten, kommt bei "Peace Is A Haiku Song" und "Blast" zum Tragen, wenn man die Poetin Sonia Sanchez ihre Lyrismen sprechen hört. Beide Titel gehören zusammen, der Bassist Ivan Taylor begleitet z.T. die faszinierende Dichterin. "Traditioneller" und vertrauter klingt "Moods", Hardbop allererster Güte mit einem exzellenten John Evans an der Trompete. Noch eine Spur leidenschaftlicher und emotionaler interpretiert Lakecia ihren Song "Rebirth", den sie für ihre Familie komponierte, die einige Verluste erleiden musste. Die Bewunderung für Alice und John Coltrane wird später noch genauer beschrieben. "Trane" ist quasi ein Hinweis auf Lakecias vorletztes Album, "Pursuance: The Coltranes", das vor nicht ganz 3 Jahren erschien und in Bigband Besetzung aufgenommen wurde. Auf jeden Fall übertrifft sich Benjamin bei dieser Ode selbst mit einem hitzigen, unbändigen und explosiven Solo. Wayne Shorter, einer der letzten lebenden Großmeister (neben Sonny Rollins), einer Generation, die dem Jazz alle Tore öffnete, spricht bei "Supernova" einen berührenden Text. Vor der Schlussnummer, "Amerikkan Skin Radio Edit", reiht sich noch der Track "Basquiat", eben über den Neo-Expressionisten Jean-Michel Basquiat (1960-1988) aus New York City. Josh Evans improvisiert weitgehend atemberaubend auf der Trompete.

Copyright: Elisabeth Leitzell

Vom Funk zu Leitschiff John Coltrane

Vor mehr als 10 Jahren, 2012, debütierte Lakecia mit einem Album, das dem schwarzen Funk und seinen Proponenten Ehre erweisen sollte: "Retox". Benjamin war damals 30 und hatte schon eine Karriere von 18 Jahren hinter sich, da sie ab ihrem 12. Lebensjahr enthusiastisch und motiviert das Saxophon studierte und ihren Idolen der Funk/Soul Szene nacheiferte. Ihre Bewunderung galt Musikern wie Maceo Parker, der in der James Brown-Band primär das Altsaxophon spielte, Stevie Wonder, Fred Wesley oder George Clinton. Benjamin transferierte auf "Retox" diesen old school soul und funk in ihre Generation und nahm mit jungen, ebenso begeisterten Musiker/innen auf. Mit ihrer Reanimation dieser vintage sounds von Bands wie Sly and the Family Stone oder den Meters, die in ihren Kompositionen auch daran erinnern, dass sie aus New Orleans stammen (immer noch aktiv), reüssierte Lakecia sensationell. Ausgebildet an der Privatuniversität "The New School" in New York City, traf Lakecia auf Ikonen des Jazz wie Reggie Workman (kb) oder den genialen Trompeter Clark Terry, den Miles Davis immens schätzte. Erst acht Jahre später fand Benjamin Zeit, ein epochales Album zu publizieren: "Pursuance: The Coltranes", das sie, wie schon erwähnt, auch in Wien präsentierte. Der Tonträger ist mit seinen 13 Songs eine kompakte Huldigung des wahrscheinlich wichtigsten Jazzmusikers des 20. Jahrhunderts: John Coltrane (sax, 1926-1967). Die Verehrung des Innovators steigert sich bis zu einer grenzenlosen Apotheose. Interessant ist, dass Lakecia Alice Coltrane (Harfe, Orgel, 1937-2007), die Ehefrau von John, mit der er wegen seines Ablebens nur 1 Jahr musizieren konnte, fairerweise auf einer Ebene positioniert. Alice wurde vorerst von Kritikern belächelt, geschnitten und bespöttelt. Erst als sie mit prominenten Jazzmusikern arbeitete, verstummten die Gehässigkeiten. Das Ehepaar Coltrane lebte sehr religiös und tendierte zu Glaubensbekenntnissen Indiens. Vor nicht allzu langer Zeit veröffentlichte der Sohn der Familie das Album "Kirtan´s Turiya Sings", auf dem Alice Mantras singt. Wie auf "Phoenix" lud Lakecia auch auf diesem Tonträger eine Vielzahl an oft sehr berühmten Musiker/innen ein. Diese Vorgehensweise unterstreicht, warum Lakecia Benjamin zweifelsohne zu den bedeutsamsten Jazzmusikerinnen der Jetztzeit zählt. Um das medial positiv akklamierte Feedback von Lakecia Benjamin und ihrem neuen Album zu kommentieren, sei erwähnt, dass zeitgleich mit diesem Feature in den relevantesten Jazz-Periodika der USA Coverstories zu finden sind: JazzTimes, Downbeat, JazzWise und Echoes Magazine. Ernst Weiss

CD-TIPP:

Lakecia Benjamin, "Phoenix", Whirlwind Recordings, Vertrieb: Indigo

WEB-TIPP:

www.lakeciabenjamin.com 

LIVE-TIPPS:

20.03.2023: Bonn (DE), Harmonie; "No Border Festival";

23.03.2023: Burghausen (DE), "Jazzwoche", www.b-jazz.com

 

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